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Beatmung bei der Reanimation: Muss das wirklich sein?

  • sofiaandresen7
  • 27. Aug.
  • 7 Min. Lesezeit

Zwischen Eigenschutz, medizinischer Notwendigkeit und praktischer Erster Hilfe


Stellen wir uns eine alltägliche, aber zutiefst dramatische Situation vor: Auf der Straße bricht eine Person plötzlich zusammen. Kein Lebenszeichen, kein Atem – ein Herzstillstand. Und du stehst daneben. Du weißt, dass du helfen solltest. Aber du zögerst. Nicht, weil du nicht helfen willst, sondern weil dir eine Frage durch den Kopf geht: „Muss ich jetzt wirklich beatmen?“

Diese Unsicherheit ist weit verbreitet – und sie ist kein Ausdruck von Gleichgültigkeit, sondern ein Symptom unserer Zeit. Spätestens seit der Corona-Pandemie ist das Thema Beatmung bei der Reanimation nicht mehr nur medizinisch, sondern auch gesellschaftlich und ethisch aufgeladen. Die Angst vor Ansteckung, die Sorge um den Eigenschutz und die psychologische Schwelle, einem fremden Menschen Mund-zu-Mund-Beatmung zu geben, sind real und nachvollziehbar.

In diesem Beitrag wollen wir dieser Frage auf den Grund gehen. Warum ist die Beatmung bei der Reanimation überhaupt wichtig? Was passiert, wenn sie fehlt? Gibt es Situationen, in denen man darauf verzichten darf oder sogar sollte? Und wie kann man sich selbst schützen, ohne auf Hilfeleistung zu verzichten?


Zwei Rettungskräfte reanimieren eine Reanimationspuppe. Beide tragen eine Maske. Ein AED ist angeschlossen


Wie die Pandemie unsere Sicht auf Erste Hilfe verändert hat


Bis zum Jahr 2020 galt die Empfehlung zur Herz-Lungen-Wiederbelebung eindeutig: 30-mal Herzdruckmassage, 2-mal Beatmung – im Wechsel. Diese sogenannte „30:2-Regel“ wurde seit Jahren in Erste-Hilfe-Kursen gelehrt, als evidenzbasierte Kombination zur Sicherstellung der Sauerstoffversorgung bei Herz-Kreislauf-Stillstand.

Doch mit dem Ausbruch von COVID-19 geriet dieses Prinzip ins Wanken. Die Tröpfcheninfektion über Mund und Nase rückte schlagartig ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Aus medizinischen Empfehlungen wurde plötzlich eine gesellschaftliche Debatte: Darf man Helfende zur Beatmung auffordern, wenn das ihr eigenes Gesundheitsrisiko erhöht?

Internationale Fachgesellschaften, darunter der European Resuscitation Council (ERC) und das Deutsche Rote Kreuz, reagierten schnell. Sie passten ihre Leitlinien an: Während der Pandemie wurde die Reanimation ohne Beatmung – also ausschließlich mit Herzdruckmassage – offiziell empfohlen. Der Grund war klar: Lieber ein reduzierter Helfereinsatz als gar keiner. Es ging um den Schutz des Einzelnen, aber auch darum, weiterhin Menschenleben retten zu können – auch wenn die Umstände außergewöhnlich waren.

Doch was bleibt von diesen Ausnahmeregelungen übrig, wenn die pandemische Bedrohung nachlässt? Kehren wir zurück zur klassischen Reanimation mit Beatmung – oder hat sich unser Verständnis von effektiver Erster Hilfe dauerhaft verändert?



Das medizinische Ziel der Reanimation: Kreislauf und Sauerstoffversorgung

Um diese Frage sinnvoll zu beantworten, müssen wir zunächst klären, was die Reanimation eigentlich bezweckt. Ein plötzlicher Herzstillstand bedeutet, dass das Herz aufhört zu schlagen – und damit der Blutfluss zum Erliegen kommt. Blut, das normalerweise Sauerstoff und Nährstoffe in alle Organe transportiert, zirkuliert nicht mehr. Ohne künstliche Hilfe bedeutet das: innerhalb von wenigen Minuten beginnen die Körperzellen, insbesondere im Gehirn, abzusterben.

Die Herzdruckmassage ersetzt die Funktion des Herzens – zumindest ansatzweise. Durch das rhythmische Drücken auf den Brustkorb wird ein künstlicher Blutfluss erzeugt, der das bereits im Körper vorhandene, mit Sauerstoff angereicherte Blut in Bewegung hält. Das ist essenziell, um eine gewisse Grundversorgung der lebenswichtigen Organe aufrechtzuerhalten.

Aber: Ohne zusätzliche Sauerstoffzufuhr über die Atmung sinkt der Sauerstoffgehalt im Blut schnell ab. Nach wenigen Minuten enthält das zirkulierende Blut kaum noch lebensnotwendigen Sauerstoff. Die Folge: Der künstlich erzeugte Kreislauf pumpt nur noch „leeres“ Blut – das Gehirn wird zwar weiter durchblutet, aber nicht mehr mit Sauerstoff versorgt. Eine solche Reanimation kann das Herz vielleicht zurückbringen – aber das Gehirn wird irreversibel geschädigt.



Was passiert, wenn man bei der Reanimation nicht beatmet?


Die kurzfristige Perspektive ist trügerisch. Tatsächlich zeigen Studien, dass in den ersten Minuten nach einem Herzstillstand die Beatmung unter Umständen nicht zwingend erforderlich ist – insbesondere bei Erwachsenen, deren Herzstillstand häufig durch ein primäres Herzproblem (z. B. Kammerflimmern) verursacht wurde. In diesen Fällen ist das Blut anfangs noch gut mit Sauerstoff gesättigt, und die Herzdruckmassage kann für eine gewisse Zeit ausreichen.

Doch je länger die Reanimation dauert, desto dramatischer wirkt sich der fehlende Sauerstoffnachschub aus. Ohne Beatmung fällt die Sauerstoffkonzentration im Blut rapide ab – und mit ihr die Überlebenswahrscheinlichkeit des Patienten. Noch gravierender sind die Langzeitfolgen: Eine Reanimation ohne Beatmung kann zwar das Herz zurückbringen, aber oft auf Kosten einer schweren hypoxischen Hirnschädigung.

Diese äußert sich in dauerhaften neurologischen Defiziten: von Gedächtnisstörungen über Lähmungen bis hin zu einem Zustand, in dem der Betroffene nicht mehr selbstständig leben kann. Das schlimmste Szenario: Der Patient wird zwar „zurückgeholt“, bleibt aber im sogenannten Wachkoma – eine bittere Realität, wenn Hilfeleistung nicht konsequent durchgeführt wurde.



Junge liegt schlafend oder bewusstlos in Krankenhausbett. hat eine Sauerstoffbrille in der Nase.



Wann darf oder sollte ich auf die Beatmung verzichten?


Trotz aller medizinischer Klarheit gibt es Ausnahmen. Die wichtigste davon ist und bleibt der Eigenschutz. Kein Ersthelfer – ob medizinisch geschult oder Laie – ist verpflichtet, sich selbst in Gefahr zu bringen. Wenn die betroffene Person blutet, deutliche Anzeichen einer schwerwiegenden Infektion zeigt oder massive Gesichtsverletzungen vorliegen, die eine Beatmung unmöglich machen, ist es medizinisch vertretbar, auf die Atemspende zu verzichten – vorausgesetzt, die Herzdruckmassage wird sofort und konsequent durchgeführt.


In solchen Fällen gilt: Herzdruckmassage durchführen, Notruf absetzen – aber keine Beatmung. Diese Entscheidung ist nicht feige, sondern verantwortungsbewusst – und sie kann trotzdem Leben retten. Die Alternative wäre nämlich oft: nichts tun.

Auch Unsicherheit oder mangelnde Übung im Umgang mit der Beatmung sind in Notsituationen weit verbreitet – das macht sie menschlich, aber nicht zwingend zu einem ausreichenden Grund, darauf zu verzichten. Viele Menschen haben zwar vor Jahren einen Erste-Hilfe-Kurs besucht, fühlen sich im Ernstfall aber nicht mehr sicher, ob sie die Technik korrekt anwenden können. Gerade dann gilt: Nicht perfekt ist besser als gar nicht. Die Beatmung kann lebensentscheidend sein – und wer es versucht, hilft. Die Vorstellung, etwas falsch zu machen, darf nicht dazu führen, es gar nicht erst zu versuchen. Ein bewusstloser Mensch in Lebensgefahr braucht nicht dein Zögern, sondern deinen Mut.

Medizinisch vertretbar ist der Verzicht auf die Beatmung nur in ganz bestimmten Ausnahmefällen – etwa, wenn deutliche Anzeichen einer hochinfektiösen Erkrankung vorliegen oder schwere Gesichtsverletzungen eine Atemspende unmöglich machen. Aber bloße Unsicherheit sollte nicht zum Entscheidungskriterium werden. Denn es geht um ein Menschenleben – und du könntest der entscheidende Unterschied sein.



Wie kann man sich auf eine Beatmung vorbereiten – ohne Risiko?


Die gute Nachricht: Es gibt praktische, leicht verfügbare Hilfsmittel, mit denen man auch als Laie sicher beatmen kann. Besonders bekannt und bewährt sind sogenannte Einweg-Beatmungshilfen, oft unter dem Namen Reanimations-Face-Shields erhältlich. Diese kleinen, zusammengefalteten Masken passen an jeden Schlüsselbund und bestehen aus einer Folie mit eingebautem Filterventil.

Der große Vorteil: Der direkte Kontakt zwischen Helfer und Patient wird vermieden. Das Ventil erlaubt dem Helfer, Luft in die Atemwege des Betroffenen zu blasen, während potenziell infektiöse Rückatmung blockiert wird. Damit wird das Infektionsrisiko erheblich reduziert – ohne, dass auf die Beatmung verzichtet werden muss.

Auch für Schulen, Betriebe oder Sportvereine sind diese Face-Shields eine sinnvolle Investition. Sie kosten oft weniger als fünf Euro pro Stück und können im Ernstfall den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten – oder zumindest zwischen einem geretteten Leben mit oder ohne Folgeschäden.


Darüber hinaus gibt es weitere Hilfsmittel, die im Notfall eine hygienische Beatmung erleichtern:

  • Beatmungsmasken mit Einwegventil (Taschenmaske)

Diese faltbaren Masken liegen gut auf Mund und Nase auf und bieten deutlich mehr Abdichtung als ein einfaches Face Shield. Sie verfügen ebenfalls über ein Einwegventil und ermöglichen so eine hygienische Atemspende. Viele Modelle enthalten auch ein Anschlussstück für Beatmungsbeutel.

  • Beatmungsbeutel (Ambu-Beutel)

Vor allem im professionellen Umfeld (Rettungsdienste, Arztpraxen) werden sogenannte Ambu-Beutel eingesetzt. Sie ermöglichen eine Beatmung ganz ohne Mundkontakt – durch Zusammendrücken eines Luftbeutels. Für Laien sind sie jedoch eher ungeeignet, da ihre Anwendung etwas Übung erfordert.


Tipp für deine Vorbereitung:

Ein kleines Face Shield kann im Ernstfall helfen, hygienisch und sicher zu beatmen. Hier findest du ein einfaches Beispiel:



 ChatGPT: Das Bild zeigt einen manuellen Beatmungsbeutel (AMBU-Beutel) und ein durchsichtiges Reanimations-Beatmungstuch (Face Shield) auf neutralem, hellgrauem Hintergrund. Der AMBU-Beutel besteht aus einem milchig-transparenten, ovalen Silikonballon mit geripptem Anschlussstück und einem klaren Kunststoffventil, das zu einer transparenten, gepolsterten Beatmungsmaske führt. Daneben liegt das Face Shield – eine rechteckige, durchsichtige Kunststofffolie mit mittigem Einwegventil und zwei weißen elastischen Bändern an den Seiten, die zum Befestigen hinter den Ohren dienen.
Beatmungs-Beutel und Face Shield – für eine sichere Beatmung im Notfall

Fazit: Beatmung – unnötiges Risiko oder medizinische Notwendigkeit?


Am Ende lässt sich die Frage nach der Beatmung nicht pauschal mit Ja oder Nein beantworten – sondern nur differenziert. Klar ist: Die Kombination aus Herzdruckmassage und Beatmung ist die effektivste Methode, um Leben zu retten und Folgeschäden zu vermeiden. Medizinisch ist sie also unbedingt zu empfehlen.

Aber: Die Realität auf der Straße sieht oft anders aus. Angst, Ekel, Unwissenheit oder einfach Überforderung sorgen dafür, dass viele Menschen im Ernstfall nicht beatmen – oder gar nicht handeln. Deshalb lautet die wichtigste Botschaft dieses Beitrags:

Besser drücken ohne Beatmung als gar nichts tun. Aber noch besser: vorbereiten und sicher beatmen.

Mit einem Face Shield, einem aufgefrischten Erste-Hilfe-Kurs und dem Wissen um die Relevanz der Atemspende kann jede und jeder einen Unterschied machen – für ein Leben, das gerettet wird, ohne bleibende Schäden.



Nur Mut: Hier für dich noch einmal die Reanimation Schritt für Schritt


Du musst kein Profi sein, um Leben zu retten. Was zählt, ist dein Entschluss zu helfen – und der Mut, ins Handeln zu kommen. Deshalb hier für dich noch einmal ein kompakter Überblick:

Wie funktioniert Reanimation im Ernstfall? Was kommt wann – und worauf musst du achten?

Behalte dabei immer im Kopf: Du kannst fast nichts falsch machen – außer nichts zu tun.


So läuft die Reanimation ab – Schritt für Schritt:


  1. Eigenschutz beachten: Bevor du hilfst, wirf einen kurzen Blick auf die Umgebung. Ist sie sicher? Kein laufender Verkehr, keine elektrischen Gefahren, kein Feuer? Dann kannst du loslegen.

  2. Bewusstsein prüfen: Sprich die Person laut an: „Hallo, hören Sie mich?“Reagiert sie nicht? Rüttle vorsichtig an den Schultern.

  3. Atmung kontrollieren:

    • Kopf überstrecken, Kinn anheben

    • Prüfe max. 10 Sekunden lang, ob normale Atmung vorhanden ist (sehen, hören, fühlen)➝ Wenn keine oder keine normale Atmung vorhanden ist: sofort handeln!

  4. Notruf 112 absetzen:

    • Standort durchgeben

    • Telefon auf Lautsprecher stellen

    • Anweisungen der Leitstelle folgen

  5. Wenn ein AED in der Nähe ist:

    • Sofort holen lassen

    • Währenddessen bereits mit der Reanimation (s.u.) beginnen

    • Einschalten und den Sprachanweisungen folgen

    • Elektroden aufkleben, Gerät analysiert automatisch

    • Wenn Schock empfohlen wird: Hände weg, Schock auslösen

    • Danach mit Herzdruckmassage fortfahren

  6. Herzdruckmassage beginnen:

    • Hände übereinander auf die Mitte des Brustkorbs

    • 5–6 cm tief drücken, 100–120-mal pro Minute

    • 30 kräftige, gleichmäßige Kompressionen

  7. Beatmen:

    • Kopf überstrecken, Nase zuhalten

    • 2-mal beatmen

    • Beobachte, ob sich der Brustkorb hebt➝ Danach wieder 30x drücken, dann erneut 2x beatmen

  8. Reanimation fortsetzen:

    • Immer im Wechsel: 30x drücken, 2x beatmen

    • AED-Anweisungen beachten


Nicht aufhören, bis Rettungsdienst übernimmt oder die Person wieder normal atmet.

Diese Schritte geben dir Sicherheit – und können im Ernstfall den entscheidenden Unterschied machen. Wenn du sie einmal verinnerlicht hast, handelst du automatisch, auch unter Stress. Und genau das rettet Leben.


Illustration mit acht Symbolen zur Reanimation: Eigenschutz, Bewusstseinsprüfung, Atmungskontrolle, Notruf, AED-Anwendung, Herzdruckmassage, Beatmung und Fortführung der Wiederbelebung.


Wenn man zu zweit hilft – Teamarbeit kann Leben retten


Ist eine weitere Person anwesend, ist die Reanimation deutlich leichter und effektiver. Sprecht euch kurz ab: Eine Person übernimmt den Notruf und gegebenenfalls die Beatmung, die andere beginnt sofort mit der Herzdruckmassage. Wichtig ist, dass ihr euch möglichst alle zwei Minuten abwechselt – denn das Drücken ist körperlich anstrengend, und die Qualität der Reanimation nimmt mit der Erschöpfung schnell ab. Wenn ihr gut zusammenarbeitet, bleibt die Hilfe konstant wirksam – und die Überlebenschancen des Patienten steigen deutlich.



Du fühlst dich noch unsicher?

Dann komm zu einem unserer Erste-Hilfe-Kurse – dort kannst du dein Wissen auffrischen, Ängste abbauen und lernen, wie du im Ernstfall souverän handelst. Werde zum Reanimationsprofi – für dich und für andere.


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